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Montag, 17. November 2014

Hundertstelcentisierung – oder das Croissant im Wurmloch

Alltag raus, Croissant rein! In Anlehnung an einen verflossenen Slogan der Tirol Werbung fasste ich gestern einen Entschluss. Ich weiß, wirkt g'rad so, als ob ich mir mit kleinen Entscheidungen schwer tun würde. Aber war das wirklich eine kleine Entscheidung? Eine gesunde Ernährung fokussierend darf man schon mal gewissenhaft abwägen, welches Croissant man in welchem Laden kauft – und wieso eigentlich. Und seitdem ich von einem guten Freund, der Bäcker ist, weiß, welcher mythologische Mehlstaub beim frühmorgendlichen (maschinellen) Kneten aufgehen kann, wurde ich zunehmend vorsichtiger. Es kann ja überall hapern, wie bei Zutaten, Zubereitung und Herstellungsprozess gleichermaßen. Wenn schon manche sogenannte "Biobäckerei" ihr Zertifikat bei einer Gütesiegel-Versteigerung erworben zu haben scheint, wie vorsichtig muss man als Konsument etwa bei einem herkömmlichen Brotladen sein? Noch dazu, wenn der Schuppen zu einer größeren, marktbeherrschenden Ladenkette zählt. Vorsicht ist geboten. Denn isst man heute fließbanderzeugte Lebensmittel, rennen einem die Parteisoldaten der Unverträglichkeitsliga wegen diverser Nahrungsmittelzusätze schon mal flott ihre symptomatischen Lanzen in das organische Zaunvolk. Also wirklich eine kleine Entscheidung?

Freilich aber umsäuseln solche Überlegungen nur die Spitze des Eisbergs, taucht man unter, tut sich erst der volle Wulst teigig-gärender und grobstofflicher Verfilzungen auf. Denn was alles hängt bei einer Bäckerei dran! Bevor da überhaupt eine öffnet, wird nicht selten – weil auch planungssichernd –  über einen Kredit verhandelt. Das erste Gebäck fluoresziert da noch vor der Pforte eines zwischen zwei ad hoc menstruierenden Spiralgalaxien umherguckenden Wurmlochs. Also, es existiert schon, das Croissant, aber in einer Parallelwelt, die man vielleicht bekifft erahnen kann, wenn man einem smarten Constulter beim Kopfen zusieht. Und zieht jener den zukünftigen Bäckerei-Eigentümer über den Tisch, beißt man von seinem Brot den einen oder anderen von der  Geschäftsführung notgedrungen aufgeschlagenen, imaginären und per Gierdekret erworbenen Consulter-Cent mit ab.

Wir machen einen kometenähnlichen Flug über den an die Wand gemalten Bäckereibau oder dessen  Einquartierung in einer flugs aufgestellten Shoppingmeile hinweg, und nehmen die Schürzen der Verkäuferinnen genauer unter die Lupe. Zwar ist am rechten Schulterträger das rote Tirol-Logo aufgenäht, dafür haben diese im Batgirl-Design geschnittenen Sexydinger auf ihrer Schiffsreise durch den indischen Ozean und den Suezkanal schon mehr von der Welt gesehen, als ein paar öde Dreitausender, deren Gletscher bereits zittern, als würden sich diese gerade Fred Zinnemanns "Zwölf Uhr mittags" als Lichtspiel am flimmernden Firmament reinziehen. Apropos: In Taiwan dürfen nun viele Kinder endlich unbezahlten Urlaub machen, da dort der Baumwollstoff rar geworden ist. Grund: Die Bundesregierung bestellte nach dem Tirol Werbung-Coup für das Bundesheer eine verheerend große Anzahl an Halstüchern der Sorte "John Wayne", um allzu schlau glotzenden Rekruten einen sinngeladenen Identifikationsaspekt zu injizieren. Wo waren wir? Ach ja! Die Schürzen! Als die Verkäuferin sich vier Mal rasch die Hände an der ihrigen abtätschelte, wusste ich natürlich nicht, ob das nur ein energetischer Habitus ihres Charakters war. Oder spielte sie gar auf Zeit?

"Ein Croissant und ein Schokocroissant – macht 3,01 Euro!" In diesem Moment war ich die Hyde-Version von Gary Cooper. Ich zog nicht schnell, dafür schmierig und ohne spockisierende rechte Augenbraue meinen frisch bankomatgezogenen Zehner aus dem durchsichtigen Plastikschoner-Portemonnaie. Von mir aus, dachte ich (beziehungsweise: mit mir nicht!) Die Spannung stieg, als ich der jungen Frau den behutsam aufgeklappten Schein über den Tresen reichte. Hatte ich eben keine Vorsorgerechnung angestellt, denn wie die Schularithmetik von damals verklickerte, macht 1,22 Euro (Croissant) und 1,79 Euro (Schokocroissant) im Gesamten – richtig. Und nicht 3,10 oder wenigstens 3,05 – oder faderweise 3,-. Ich weiß nicht mehr genau, wieviel mir an komplettem Rückgeld erstattet wurde. Ich habe es verdrängt und verdränge es noch immer. Und nachträglich betrachtet fühlten wir uns beide in dieser Situation nicht wohl.

In den Anfängen des Kapitalismus ging es meist Menschen schlecht, die kaum eine "Marie" hatten, um sich zumindest etwas zu Essen zu kaufen, und somit vom materialistischen Vorzeigewertesystem manierlich missachtet werden konnten (aber denen man trotz tadelnder Seitenblicken den letzten Groschen ungeniert aus dem Sack lupfte). Im Gegensatz dazu sorgt der "Geht es der Wirtschaft schlecht, geht es uns allen schlecht"-Neoliberalismus neben seiner aufwieglerischen Vergleichungshetzerei nun offenbar auch für eine klausulierte Preisgestaltung, und scheint so durch geschickte Hundertstelcentisierung bei den beteiligten Personen nur liebend gerne eine zwanghafte Handlung zu provozieren, die in obigen Fällen eine Auf- oder Abrundung des Kaufbetrages zur Folge haben kann. Ich nenne das zweckgerichtetes Schüren liberaler Kälte. Wenn die Freiheit einer Entscheidung systemgedungen manipuliert wird, ist es an der Zeit, besser ein Zeichen des Ungehorsams zu setzen, als Klein(geld) beizugeben. Ein Opfer ist kein Täter.

PS: Heute habe ich überraschenderweise neben 1,10 Euro zusätzlich auch noch genau neun Cent beim Grabschen in meiner Hosentasche gefunden, als ich eine 1,19 Euro teure Schokotafel in einem Laden bezahlte. Es war dieselbe Hose, die ich auch beim Kauf der Croissants trug.

Das "0,895 Cent-Schokocroissant" – sogar eine Tausendtselcentisierung ist anwendbar.

Aus meinem Plastikschoner-Portemonnaie zog ich den Zehner.

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