Biergärten schlafen sich über den Winter ihren verdienten Rausch aus. |
Mittwoch, 12. November 2014
Der Nationalsozialist hat mein Bier getrunken
Als ich an diesem Novembervormittag am Telfer Bahnhof auf meinen Gesprächspartner wartete, hatte ich vor einem Cafe mein Auto geparkt. Es waren noch ein paar Minuten hin bis zum Termin, und ich blieb im Wagen sitzen. Mein Blick streifte über die verlassene Terasse und drückte Missbilligung aus. Warum? Wegen der verschiedenen Merchandising-Goodies der Bierbrauereien, die sich einen geschmackslosen Wettstreit mit in ihrem Logo und Design beworbenen Laternen, Eintrittstoren und Speisekarten-Glashüttchen lieferten. Aber nicht nur das Terassenareal wurde von diesen sich nebenbei auch in Farbe und Schrift schlagenden und über Jahre hinweg durch verschiedene Lokalbesitzer – die übrigens mit rabiat gewordenen Lokalbesetzern nicht immer grün sind, und obendrein telefonisch georderte exekutive Gewalt als letztes Mittel der Räumung ansehen – geografisch äußerst unglücklich arrangierten Schildchen, Namenszüge und Plaketten in grausame Mitleidenschaft gezogen, sondern auch andere Teile dieser vergewaltigen Gebäudefront samt dem klammheimlich wirkenden Eingangsbereich. Dabei musste ich den Kopf nicht gravierend wenden oder gar aus dem Fahrzeug steigen, um dieser sadistischen Stilmelange zumindest oberflächlich, aber dennoch unangenehm berührt gewahr zu werden. Obendrein waren die zur Schau gestellten und in ihrem protzenhaften Gehabe an Ritter der ersten Qualitätsstufe erinnernden Biermarken in meinen Augen nichts weiter als vorzügliche Verlierer in Geschmack und Reinheit. Von einer dort gepriesenen Sorte hab' ich früher schon nach zwei "Halben" am nächsten Tag saumäßiges Kopfweh gehabt, und die andere bewirkte damals unter den Nerven meines Gaumens eine solch bestialische Rebellion, dass ich von weiteren Heb- und Schluckbewegungen sofort und eingeschüchtert Abstand nahm. Die dritte dort beworbene Biermarke trank in meiner Heimatstadt Klagenfurt ehemals sowie öffentlich ein weit über die Ortsgrenzen und in der dortigen politischen Szene nicht gänzlich fremdländischer, aber junger und dynamischer Nationalsozialist. Also kam ein Genießen dieses Bieres – vom redlichen Schmecken abgesehen – leider zwangsweise nicht mehr in Frage. So meine Gedenkübungen im Auto. Später saß ich mit meiner Kundschaft im oben beschriebenen Cafe. Eine aufgeräumt palavernde Horde teils kerniger Pensionisten – auch weibliche befanden sich darunter – füllte den Raum. Es wurde Karten gespielt, und von den Männern die ersten Bierchen und Weine gezwickt. Die Unterhaltungsmusik aus den Lautsprechern war zwar laut, dafür störend. Ich hatte die Aufnahmetaste meines "Philips Voice Tracer" gedrückt, und rüstete mich aufgrund des happigen Schallpegels und des überhaupt nicht methusalem'schen Crescendos innerlich für einen horriblen Transkriptionsnachmittag. Nach dem Interview machte ich draußen für die Reportage noch ein paar Fotos vom meinem Hauptdarsteller. Torkelt doch einer aus dem Lokal, sieht mich durch die Linse zielen, und lallt mit vom Alkohol zungendicken Dialekt: "Aha, do weard g'schossn!" Dann drehte er sich grunzend um, und schwankte mit beträchtlicher Schräglage zu seinem Auto. Es war 11:51 Uhr. "G'schossn, g'schossn", vernahm man beim Starten noch. Ein Jäger vielleicht, der heim zum Essen fuhr.
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